Gernot Erler: Ein Glücksgriff der Großen Koalition

Man kann der Großen Koalition vieles an Versäumnissen vorwerfen, aber Fakt ist: Eine parlamentarische Mehrheit von 80% lässt in Union und SPD ab und an auch in einer überraschenden Weise den Mut erwachen.

Die Union setzte sich beim Betreuungsgeld durch und nominiert einen bekennenden Abtreibungsgegner als Generalsekretär. Gleichzeitig entdeckt Hannelore Kraft ihr Herz für den „kleinen Mann“ und regnet durch ihren Einsatz für die Renaissance des Kohlebergbaus dem Klimaklerus auf die Parade. Wenige Wochen nach der Kritik Sigmar Gabriels und der Gewerkschaften am „Ökofundamentalismus“ in Brüssel schlagzeilen erste Zeitungen, die EU stehe davor, sich vom „Klimaschutz“ zu verabschieden.

Erfreulicherweise ist offenbar auch der neue Volkssport, nämlich das ebenso lautstarke wie gratismutige Russland-Bashing, dessen Intensität in letzter Zeit sogar alles übertrifft, was man sonst an wohlfeilen Ressentiments gegenüber den USA, Israel, England oder der Türkei kennt, nicht in der Bundesregierung angekommen.

Anders ist es nicht zu erklären, dass in der Position des Russland-Koordinators der Bundesregierung der Neowilhelminer Andreas Schockenhoff (CDU) durch den Sozialdemokraten Gernot Erler abgelöst wird, einen erfahrenen Diplomaten, der sogar fließend die russische Sprache beherrscht und bereits in der Regierungszeit Gerhard Schröders ein ähnliches Amt innehatte. Die „Qualitätspresse“ tobt und Cem Özdemir hat, nachdem er mittels seiner Einmischung in die türkische Innenpolitik zu Zeiten der Gezi-Park-Proteste entscheidend zu herben Stimmenverlusten seiner Partei unter türkischen Einwanderern beigetragen hatte, im Belehrungseifer gegenüber Erler nun ein neues, risikoärmeres Profilierungsfeld ausgemacht.

Die Maus, die brüllte

Während die FDP über die gesamten vier Jahre ihrer Regierungsbeteiligung hinweg außer Steuererleichterungen für Hoteliers kaum zählbare Erfolge für sich verbuchen konnte, kompensierte man die Statistenrolle innerhalb der Regierungskoalition nur allzu gerne, indem man außenpolitisch dem moralindeutschen Maßregelungsdrang gegenüber Moskau freien Lauf ließ. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning oder Guido Westerwelle, die nicht müde wurden, sich in einer Weise gegenüber Russland in Szene zu setzen, die an die Musterschüler-Pose der DDR-Führung zu Zeiten der Perestroika erinnert, wird auch in Moskau niemand eine Träne nachweinen.

In der gleichen Zeit trat Erler dieser peinlichen Vorstellung entgegen und gab beispielsweise in der „Zeit“ zu bedenken, dass zwischen gefühlter und tatsächlicher Bedeutsamkeit auch mit Blick auf die westeuropäischen Ambitionen, Russland in die Enge zu treiben, nicht unerhebliche Unterschiede bestehen.

Es geht im Umgang mit Russland, so Erler, „nicht um den erhobenen Zeigefinger, sondern Partnerschaft“. Und weiter: „Russland braucht keine Verkäufer eines ‚Modells Europa‘, sondern unsere Bereitschaft, gemeinsam mit ihm Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden“.

Partnerschaft statt Kreuzzugsmentalität

Es ist ein Zeichen außenpolitischer Weitsicht, Koordinatorenposten mit Personen zu besetzen, die ein Mindestmaß an Ahnung, Empathie und Offenheit gegenüber den Menschen und der Situation in jenen Ländern aufbringen, mit denen sie künftig zusammenarbeiten sollen. Deshalb war es richtig, den bekennenden Atlantiker Philipp Mißfelder zum Koordinator für die transatlantischen Beziehungen zu den USA und Kanada zu ernennen und auch den entsprechenden Posten des Russland-Beauftragten nicht weiter mit einer Person zu besetzen, die es verstanden hat, bei einem der wichtigsten Handels- und vor allem Energiepartner das Bild des „hässlichen Deutschen“ wiederzubeleben.

Auch in unseren Breiten befürchten nicht wenige Menschen angesichts des hohen Maßes an Akzeptanz für gönnerhaftes und großkotziges Auftreten gegenüber Russland eine Neuauflage des Kalten Krieges – mit dem Unterschied, dass der Marxismus diesmal im Westen sitzen würde. Die Bundesregierung tut gut daran, sich stattdessen für eine von wechselseitigem Respekt und konstruktiver Zusammenarbeit geprägte Partnerschaft einzusetzen.

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